Schmerz in Schönheit verwandeln 

Kul­turzen­trum Utopia

Die Ausstel­lung­shalle befind­et sich im Nor­den Münchens inmit­ten des Hochschul­gelän­des an der Dachauer Straße, der Zugang ist durch eine Baustelle derzeit etwas erschw­ert. The­ma der aktuellen immer­siv­en Show ist Fri­da Kahlo, die mexikanis­che Malerin mit den markan­ten Augen­brauen und der starken Per­sön­lichkeit. In ihren Kunst­werken stellt sie vor allem Ihr eigenes Leben und Lei­den dar.

Der angenehm kurzen Aufzäh­lung der Lebenssta­tio­nen fol­gt ein erstes Gemälde „Selb­st­bild­nis mit Dor­nen­hals­band” von 1940. Umgeben von der Her­rlichkeit der Welt sym­bol­isiert es den Schmerz, den sie wegen der Schei­dung von Diego Rivera emp­fand. Und schaut man etwas länger hin, verän­dern nicht nur die umrah­menden Blät­ter allmäh­lich ihre Farbe, erwachen nicht nur die Schmetter­linge zum Leben, nein, auch Fri­da blinzelt von Zeit zu Zeit oder wen­det ihren Blick für einen Augen­blick vom Betra­chter ab.

Immer­siv, was ist das?

Das Gesamter­leb­nis erweckt die im Orig­i­nal fast winzig erscheinen­den Bilder auf bis zu 34 Meter lan­gen und 10 Meter hohen Pro­jek­tion­swän­den zum Leben, wobei auch der Boden der Halle mitein­be­zo­gen wird.

Ein eigens für die Show kom­poniert­er und arrang­iert­er, die Halle mit mexikanis­chem Flair erfül­len­der Sound­track unter­malt die ins Deutsche über­tra­ge­nen Orig­i­nalz­i­tate. Zwar kon­nte die Lieblingstochter des nach Mexiko aus­ge­wan­derten Pforzheimers, in dessen Büch­er­schrank Goethe und Schiller standen, Deutsch lesen und sog­ar schreiben, nicht aber sprechen: Papa Kahlo legte großen Wert darauf, dass zuhause nur Spanisch gesprochen wurde. Das blendet man als Zuhör­er aber bere­itwillig aus und gibt sich, auf einem der mon­u­men­tal­en grauen Sitzkissen lüm­mel­nd, ganz dem reizen­den spanis­chen Akzent hin, der so unglaublich viel emo­tionale Nähe schafft, dass man stun­den­lang zuhören möchte. Von Fridas Kind­heit ist die Rede, dass sie und ihre drei Schwest­ern jeden Tag in die Kirche gehen und vor jed­er Mahlzeit beten mussten. Von der mexikanis­chen Rev­o­lu­tion. Und von der Gedanken­welt, die jedem ihrer Werke zugrunde lag.

Der Unfall

Als Besuch­er sitzen wir mit der jun­gen Fri­da im Bus, blick­en zur Linken wie zur Recht­en auf andere Fahrgäste, sehen aus der Rück­en­per­spek­tive des Bus­fahrers, wie er das große Lenkrad hält, hören den schw­eren Diesel­mo­tor brum­men … und wis­sen, dass im näch­sten Moment etwas Schreck­lich­es passieren wird, etwas das Fri­da Kahlo als einen „merk­wur­di­gen Ssusam­men­stoß” beschreibt: „Nicht gewalt­sam, son­dern vielmehr leise, langsam. Er hat uns alle ver­let­zt. Aber mich am schw­er­sten.” Denn ihren Unter­leib durch­bohrte eine eis­erne Hal­tes­tange: „Jet­zt lebe ich auf einem Plan­eten aus Schmerz“. 

Ihr Vater besaß Ölfar­ben und einige Pin­sel. Die Mut­ter ließ eine spezielle Staffelei für sie anfer­ti­gen, denn sie kon­nte sich monate­lang nicht auf­set­zen. So begann sie, ohne groß nachzu­denken, zu malen. Vor allem sich selb­st: „Ich male Selb­st­porträts, weil ich so oft allein bin. Ich male mich selb­st, weil ich die Per­son bin, die ich am besten kenne. Ich habe mich mit ein­er sehr aus­geprägten Augen­braue gemalt. In Wirk­lichkeit habe ich kein so auf­fäl­liges Merk­mal. Allein, ich wollte ein Detail hinzufü­gen, das mich von allen anderen Mäd­chen unterscheidet.”

Nach zwei Jahren auf dem schmerzhaften Plan­eten begann Fri­da wieder zu gehen. Sie verspotte den Tod und lache über ihn, weil er sie nicht bekom­men habe, sagt sie. Und über die Lein­wand des Utopia tanzen der­weilen lustige Skelette.

Diego Rib­era

Die Rev­o­lu­tion war vorüber, Mexiko war frei. Fri­da lernte den Frei­heit­skämpfer und welt­berühmten Maler Diego Rib­era ken­nen und lieben. Ihre Mut­ter war über­haupt nicht ein­ver­standen mit der Hochzeit, es sei „die Ehe zwis­chen einem Ele­fan­ten und ein­er Taube”. Und noch dazu war dieser Diego ein Kom­mu­nist. Auch Treue kam für ihn nicht in Frage: „Wir waren noch nicht ein Jahr ver­heiratet, als er seine erste Affaire hatte.”

Das Kün­stler­paar lebte einige Jahre in San Fran­cis­co, obwohl Fri­da die Grin­gos nicht mochte („Sie sind lang­weilig und haben Gesichter wie unge­back­ene Brötchen”) und sich nach ihrer Heimat sehnte. Dor­thin zurück­gekehrt, brachte Die­gos Affaire mit Fridas Lieblingss­chwest­er Christi das Fass zum Über­laufen, und das Paar tren­nte sich. Zum ersten Mal lebte Fri­da in ein­er eige­nen Woh­nung. Und ertränk­te ihren Kum­mer in Alkohol.

„Ich kon­nte nicht das malen, um meinen Schmerz auszu­drück­en.” Und der Zuschauer ahnt förm­lich den Schei­dungs­grund, wie er sich in dem Bild „die bei­den Fridas“ offen­bart: rechts die mexikanis­che Fri­da, die Diego liebte. Links die europäis­che Fri­da, deren Herz blutet. Die Tropfen ver­wan­deln sich auf dem weißen Stoff des Klei­des in Blu­men: „ich habe Schmerz in Schön­heit ver­wan­delt. Und indem ich das getan habe, habe ich meinem Schmerz einen Sinn gegeben.”

Und Fri­da malte. Alles, was sie emo­tion­al bewegte, ver­ar­beit­ete sie in ihren Bildern. Sog­ar ihre eige­nen Vorder­füße, wie sie da in der Bade­wanne aus dem Wass­er ragten und samt Zehen zwei selt­same Kör­p­er formten, zwei viel­beini­gen Lebe­we­sen nicht unähnlich.

Ein Jahr später heiratete sie Diego erneut. Und hätte glück­lich mit ihm im Casa Azul leben kön­nen, wären da nicht ihre gesund­heitlichen Prob­leme gewe­sen. Nach ein­er Oper­a­tion an der Wirbel­säule lag sie drei Monate lang im Bett, mit einem Gip­sko­rsett und einem schreck­lichen Appa­rat am Kinn, der sie höl­lisch quälte. Fri­da malte den Apparat.

Ihre Hoff­nung auf Heilung erstarb, als ihr 1953 das rechte Bein amputiert wer­den mußte, und sie unter­nahm einen Selb­st­mord­ver­such. Vom Roll­stuhl aus malte sie sich als jun­gen, von Pfeilen ver­wun­de­ten Hirsch: „Von Pfeilen durch­bohrt und blu­tend, starre ich dich inmit­ten eines toten Waldes an. Langsam akzep­tiere ich, dass ich mich nicht mehr erholen werde, dass dies mein Schick­sal ist.” Und set­zte abschließend hinzu: „Wozu brauche ich Füße, wenn ich fliegen kann?”

Im Früh­jahr 1954 erkrank­te Fri­da Kahlo erneut schw­er. Noch nicht wirk­lich gene­sen, nahm sie gegen den Rat ihres Arztes an ein­er poli­tis­chen Demon­stra­tion teil. Wenig später starb sie im Alter von nur 47 Jahren.

Eine Sur­re­al­istin?

Man hat Fri­da Kahlo dem Sur­re­al­is­mus zuge­ord­net, obwohl sie selb­st sich gegen diese Zuschrei­bung wehrte: „Sie dacht­en, ich sei eine Sur­re­al­istin, aber das war ich nie. Ich habe nie Träume gemalt. Ich male meine eigene Real­ität.” The­men wie Eso­terik, Magie, Sex­u­al­ität, Frucht­barkeit und Krankheit find­en sich darin eben­so wie ihre per­sön­lichen psy­chis­chen und physis­chen Leiden.

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Standort 

Utopia

Heßs­traße 132, 80797 München
15.12.22 bis 10.02.23
Täglich 10–21 Uhr
www.utopia-munich.com
Besuch­stag: 9. Jan­u­ar 2023
Autor: Rain­er Göttlinger