Ludwig Erhard Zentrum 

Lud­wig Erhard zählt zu den wichtig­sten Per­sön­lichkeit­en der deutschen Nachkriegs­geschichte. Der erste Bun­deswirtschaftsmin­is­ter und zweite Bun­deskan­zler der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land ist als der „Vater des deutschen Wirtschaftswun­ders” tief im kollek­tiv­en Gedächt­nis ver­wurzelt, und sein Konzept der Sozialen Mark­twirtschaft ste­ht bis heute für Erfolg und Wohl­stand unser­er Gesellschaft.

Das Lud­wig Erhard Zen­trum (LEZ) ver­ste­ht sich als inter­ak­tiv­er Ler­nort und offen­er Raum des Dialogs über Zeit­geschichte, Wirtschaft und Poli­tik. Seine Dauer­ausstel­lung lädt ein, die Per­son und den Staats­mann Lud­wig Erhard ken­nen­zuler­nen, Zeit­geschichte zu ent­deck­en und Soziale Mark­twirtschaft zu erleben. Sie verteilt sich auf zwei Gebäude, das Geburtshaus und den Neubau gegenüber.

Geburtshaus 

Im Geburtshaus begin­nt die Ausstel­lung im zweit­en Obergeschoss, der ehe­ma­li­gen Woh­nung der Fam­i­lie Erhard. Sie führt chro­nol­o­gisch durch die zen­tralen Sta­tio­nen und Weichen­stel­lun­gen von Erhards Geburt über seine Kind­heit bis hin zum Zusam­men­bruch Deutsch­lands 1945.

Der kleine Lud­wig wurde am 4. Feb­ru­ar 1897 geboren. Die Mut­ter, eine geborene Has­sold, stammte aus ein­er Handw­erk­er­fam­i­lie in der Stadt. Sein Vater, ein Bauern­sohn aus der Rhön, betrieb im Erdgeschoss des Haus­es ein Spezialgeschäft für Damen­blusen, Schürzen, Hem­den und Kinderklei­d­chen, alles auch nach Maß, sowie Bett- und Tis­chwäsche, Klei­der­stoffe und Vorhänge.

Fürths flo­ri­erende Wirtschaft zog die Men­schen an: 1840 hat­te die Stadt noch 15.000 Ein­wohn­er, 1901 waren es bere­its 55.000. Trotz wach­senden Wohl­stands gab es soziale Prob­leme und große Armut. Reich­skan­zler Otto von Bis­mar­cks Sozial­re­for­men begrün­de­ten unser heutiges Sozial­sys­tem mit Kranken‑, Unfall- und Renten­ver­sicherung, in die Arbeit­ge­ber und Arbeit­nehmer einzahlen.

Nation­al­is­mus, Wet­trüsten, poli­tis­che und wirtschaftliche Rival­itäten sowie das Kalkül, dadurch innere Prob­leme zu über­winden, führten 1914 zum Ersten Weltkrieg. Die Hoff­nung auf einen raschen deutschen Sieg erfüllte sich nicht, Mil­lio­nen von Sol­dat­en wur­den getötet oder grausam ver­stüm­melt. Nach sein­er Rück­kehr erlebte Lud­wig Erhard die Heimat im Umbruch.

1922 wurde Erhard Dok­torand bei Franz Oppen­heimer. Dieser ver­brachte so viel Zeit wie möglich im Engadin. Seine mündliche Prü­fung legte Erhard während ein­er gemein­samen Wan­derung im Engadin ober­halb von Pon­tresina ab.

Zurück in Fürth war der Kriegs­versehrte nicht in der Lage, im Laden der Eltern zu arbeit­en, suchte nach ein­er neuen beru­flichen Per­spek­tive, und pro­movierte schließlich an der Uni­ver­sität in Frank­furt am Main im Fach Wirtschaftswissenschaft.

1923 heiratete er Luise Schus­ter. Im gle­ichen Jahr kam es zur Hyper­in­fla­tion, der Staat entschuldete sich, aber Mil­lio­nen Rent­ner und Spar­er ver­loren alles, und auch das Geschäft der Erhards musste wenig später Konkurs anmelden.

Lud­wig Erhards Anfangs­jahre als Wis­senschaftler unter dem Nation­alökonomen Wil­helm Ver­shofen fie­len zusam­men mit dem Ende der Weimar­er Repub­lik. Ihr fol­gten der Kap­i­tal­is­mus und Dirigis­mus des NS-Staates, die Arisierun­gen, die Aus­beu­tung beset­zter Län­der und die men­schen­ver­ach­t­ende Zwangsar­beit. Am 8./9. Mai 1945 schließlich kapit­ulierte das Dritte Reich. Für die Bevölkerung stand das Über­leben im Vorder­grund, eine Auseinan­der­set­zung über die jet­zt unver­hüllt sicht­bar gewor­de­nen NS-Ver­brechen trat demge­genüber zurück.

Neubau 

Im Neubau geht es um Lud­wig Erhards Weg in die Poli­tik: sein Wirken als Wirtschaftsmin­is­ter und Bun­deskan­zler eben­so wie seine Idee der Sozialen Mark­twirtschaft. Die Zei­tum­stände von 1945 bis heute wer­den leben­snah dargestellt und die Her­aus­forderun­gen damals, heute und in der Zukun­ft vor Augen geführt.

Nach Kriegsende hiel­ten wegen der staatlichen Pre­is­fest­set­zung viele Geschäfte ihre Waren zurück, die Schaufen­ster blieben leer. Mit dem Inkraft­treten der Währungsre­form und der Aufhe­bung der Preisvorschriften änderte sich das schla­gar­tig, und es kam zum

Lichtschal­ter­ef­fekt

Über Nacht füll­ten sich die Schaufen­ster mit all den gehort­eten Waren, weil jet­zt damit gutes Geld ver­di­ent wer­den konnte.

Der Zer­fall der Weltkriegs-Siegerkoali­tion mün­dete rasch in die glob­ale Kon­fronta­tion der neuen Hege­mo­nialmächte USA und UdSSR. Es begann die Zeit des Kalten Krieges, und mehrfach blick­te die Welt in den Abgrund der atom­aren Vernichtung.

Nach der Bun­destagswahl 1949 wurde Erhard am 20. Sep­tem­ber 1949 als Bun­desmin­is­ter für Wirtschaft in die von Bun­deskan­zler Ade­nauer geführte Bun­desregierung berufen. Der anhal­tende wirtschaftliche Auf­schwung fes­tigte das Ver­trauen in die Demokratie, Lud­wig Erhard galt in der Bevölkerung bald als Vater des Wirtschaftswun­ders. Er selb­st schätzte diesen Begriff nicht. In seinem pop­ulären Buch „Wohl­stand für Alle” (1957) legte er seine Vorstel­lun­gen all­ge­mein­ver­ständlich dar: „der einzig gerechte demokratis­che Richter” sei der Kon­sument, der Staat set­ze und schütze nur die Rah­menbe­din­gun­gen, sorge für Rechts- und Ver­tragssicher­heit, garantiere Eigen­tum und Bil­dung und gewährleiste eine Absicherung für den Fall des Scheit­erns im Wet­tbe­werb. Weit­ere Voraus­set­zun­gen seien eine sta­bile kon­vertier­bare Währung, niedrige Steuern, offene inter­na­tionale Märk­te sowie ver­ant­wor­tungs­be­wusste Unternehmer und Arbeiter.

Erhard und Adenauer

Lud­wig von Erhards Ver­hält­nis zu Kon­rad Ade­nauer war von ein­er kon­tinuier­lichen Desil­lu­sion­ierung geprägt, die atmo­sphärischen Störun­gen zwis­chen den bei­den erhiel­ten durch hand­feste Dif­feren­zen im Bere­ich der Wirtschafts- und Europa­poli­tik ständig neue Nahrung. Die Span­nun­gen ver­schärften sich Ende der 1950er-Jahre, als Lud­wig Erhard die Kan­zler­nach­folge für sich zu bean·spruchen begann.

Im Früh­jahr 1963 nominierte die CDU/C­SU-Frak­tion Lud­wig Erhard zu ihrem Kan­di­dat­en, und am 15. Okto­ber 1963 wählt der Deutsche Bun­destag ihn zum Bun­deskan­zler. Seinem Selb­stver­ständ­nis nach agierte er als lib­eraler, über­parteilich­er Volk­skan­zler und stellte damit eine Art Gege­nen­twurf zur autoritären Kan­zlerdemokratie Ade­nauers dar. Die Bun­destagswahl 1965 gewann er ful­mi­nant für die Union.

Erhards kurz­er Kan­zler­schaft war jedoch, auch wenn die Auf­nahme diplo­ma­tis­ch­er Beziehun­gen mit Israel und die Passier­schein­abkom­men mit der DDR pos­i­tiv zu Buche schlu­gen, kein dauer­hafter Erfolg beschieden. Beson­ders unrühm­lich gestal­tete sich das Ende: nach hefti­gen poli­tis­chen Quere­len und inner­parteilichen Intri­gen trat Lud­wig Erhard am 1. Dezem­ber 1966 zurück. Die Umstände seines Sturzes emp­fand er als bit­ter und schmerzlich.

Nach dem Rück­tritt begann 1966/67 die Umfor­mung der Sozialen Mark­twirtschaft zu ein­er staatlich finanzierten Kon­junk­turs­teuerung. Obwohl mit der kon­tinuier­lich ange­hobe­nen Mehrw­ert­s­teuer eine immer stärk­er sprudel­nde Finanzquelle erschlossen wurde, geri­et der Staat damit rasch an die Gren­zen sein­er finanziellen Belast­barkeit. Die Staatsver­schul­dung begann anzusteigen, Infla­tion und Arbeit­slosigkeit kehrten zurück, und Zukun­ftssor­gen im Zeichen der „Gren­zen des Wach­s­tums” trat­en an die Stelle des Fortschrittsop­ti­mis­mus der Wirtschaftswunderjahre.

Lud­wig Erhard hat die Schat­ten­seit­en dieser Entwick­lung noch gese­hen. Zusam­men mit dem sozialdemokratis­chen Starökonomen Karl Schiller warnte er 1972 in ein­er großen Anzeigenserie vor der Ver­for­mung sein­er Sozialen Mark­twirtschaft. Es war sein let­zter öffentlich­er Appell.

Nach seinem Rück­tritt als Bun­deskan­zler gehörte er weit­er dem Bun­destag an und wurde 1972 und 1976 dessen Alter­spräsi­dent. Lud­wig Erhard starb am 5. Mai 1977 in Bonn und wurde nach einem Staat­sakt in Gmund am Tegernsee beigesetzt.

Musée sentimental 

Die in einem Neben­raum gezeigten authen­tis­chen Bilder und Objek­te von Lud­wig Erhard gelangten auf ver­schlun­genen Pfaden nach Fürth: im Juni 1993 wurde in Bonn eine „Woh­nungsauflö­sung” offeriert mit Lud­wig Erhards Antiq­ui­täten, Sil­berbesteck, teurem Geschirr, Gemälden, Ehren­dok­torhüten und Talaren, Staats­geschenken, dem Frack, in welchem Erhard zum Bun­deskan­zler verei­digt wurde, seinem Per­son­alausweis und einem bedeut­samer Zettel mit Hin­weisen zu einem Geld­ver­steck. Der Bon­ner Kun­sthändler F. W. Ock­en­fels kaufte.

Die Wogen über diesen spek­takulären Verkauf an einen Pri­vat­mann schlu­gen hoch, denn die Museen gin­gen leer aus. Fast drei Jahrzehnte nach diesem ersten Verkauf und ein­er Odyssee, die nur die Stücke selb­st erzählen kön­nten, gelang dem Lud­wig Erhard Zen­trum der Coup, den Nach­lass aus Südafri­ka zu erwerben.

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Anfahrt und Kontakt 

Ludwig Erhard Zentrum

Lud­wig-Erhard-Straße 6, 90762 Fürth
0911–621808‑0, info@ludwig-erhard-zentrum.de
Di-Mi, Fr-So 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr
www.ludwig-erhard-zentrum.de
Besuch­stag: 28. Sep­tem­ber 2022
Autor: Rain­er Göttlinger