In Freising wurde vor kurzem nach zehnjähriger Renovierung eines der weltweit größten religionsgeschichtlichen Museen wieder eröffnet.
Doch lohnt sich der Besuch auch für Menschen, die der Heiligenverehrung eher kritisch gegenüber stehen? Die Antwort lautet eindeutig ja. Denn der Betrachtung religiöser Kunst läßt sich auch jenseits ihrer ursprünglichen Bedeutung so mancher kulturgeschichtliche Aspekt abgewinnen.
Die alte Domstadt liegt gute 30 Kilometer nördlich von München an der Nahtstelle zweier charakteristischer Landschaften des Alpenvorlandes, der flachen Schotterebene mit dem heute größtenteils trockengelegten Erdinger Moos und dem tertiären Donau-Isar-Hügelland, auf dessen exponiertem Domberg sich inmitten weithin sichtbarer Bebauung auch das eindrucksvolle Museumsgebäude befindet.
Sehr zum Erstaunen des Verfassers besteht zwischen Nürnberg und Freising eine direkte Bahnverbindung, und auch der Weg vom Bahnhof zum Domberg erweist sich, folgt man der noch unfertigen Abkürzung hinauf zum Schlosscafé, als angenehm kurz. Die Treppenstufen sind noch ganz neu, Geländer und Laternen noch gar nicht montiert. Und auch die Aussicht vom Domberg auf die Stadt muss erst noch geliefert werden, denn der Herbstsonntag ist ein nebliger.
Ein wenig Orientierungsvermögen ist zunächst auch im Inneren des Gebäudes gefragt, will man den Rundgang bei der Sonderausstellung beginnen. Denn die befindet sich in der obersten Etage, und die Wegweisung dorthin erweist sich als eher dezent bis spartanisch. Vielleicht hier? Nein, das ist der Ausgang. Der Eingang befände sich drüben beim Aufzug, mit dem ja die meisten Besucher heraufkämen. Oh. Der Verfasser hätte seinen sportlichen Ehrgeiz wohl etwas zügeln sollen.
Strafe Gottes oder Kampf der Titanen?
Aber sei’s drum, von hier weg ist die Abfolge der Räume nun klar ersichtlich, und der Besucher kann seine Aufmerksamkeit ganz den Exponaten zuwenden: die aus der Vulkanasche geborgene fast 2000 Jahre alte Statuette des pinkelnden Hercules, dem Gipsausguss eines Hohlraums, der ein umgekommener Hund in der Asche hinterlassen hat, die Glaubensrituale der Menschen, die auch nach der Katastrophe des Jahres 79 nach Christus immer wieder neuen Eruptionen ausgesetzt waren, das Bild der Medusa mit den Schlangenhaaren, deren Blut im Meer zu roten Korallen gerann, die Person des Heiligen Gennaro, dessen Blut von den Gläubigen auch heute noch in Ehren gehalten wird, zumal es sich in Krisenzeiten auch schon das eine oder andere Mal wieder verflüssigt haben soll.
Ölgemälde des 16. und 17. Jahrhunderts zeigen im Hintergrund einen rauchenden und oft auch feuerspeienden Vulkankegel, dessen erneuter Ausbruch nur eine Frage der Zeit ist.
Auch die Dauerausstellung eine Etage tiefer besteht aus einer Abfolge miteinander verbundener Räume, was sich einem aber erst auf den zweiten Blick erschließt. Zumal hätte man vorteilhafter im Raum Nummer 1 begonnen statt irgendwo mittendrin beim Freisinger Lukasbild. Ach ja, der Aufzug. Aber wer nimmt den schon, wenn er gerade einen Schritt vor der Treppe steht?
Das Martyrium galt in der christlichen Kirche als die radikalste Form der Nachfolge Christi, viele Frauen und Männer wurden quasi zu Superhelden, die den Kampf Gut gegen Böse führten oder alternative Lebensformen suchten. Ihre Heiligenlegenden wurden in Wort und Bild verbreitet, wovon die nachfolgenden Abteilungen künden.
Die beiden Gemälde „Abendmahl” und „Himmelfahrt” der Münchner Künstlerin Brigitte Stenzel von 2009 lassen den Verfasser ebenso fasziniert innehalten wie die Erdbeeren pflückenden Putten, der als Kuschelkissen gebrauchte Totenschädel, der ermattet wirkende Christus in der Rast sowie natürlich das Kabinett mit den 40 Miniaturen, in denen jeweils ein gräßliches Skelett an eine Person von Stand herantritt.
Nachdem man sich auch hier gründlich sattgesehen hat, böte sich noch ein Besuch im Museumsrestaurant an, leider ermahnt aber der Zugfahrplan zur pünktlichen Abreise, denn es steht ja noch ein weiterer Besuch auf der Agenda: das Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg.
Schildbürger-Bus
Dort ist der Weg vom Bahnhof zum Museum zwar etwas weiter als in Freising, aber es gibt ja zum Glück den öffentlichen Linienbus: die Smartphone-App schlägt den Bus 1 vor, die Busbuchten sind klar gekennzeichnet. Und da kommt er auch schon. Etwa drei Minuten dauert die Fahr bis vor den spektakulären, noch immer die Gemüter der Regensburger spaltenden Museumsbau. Wie schön wäre es doch, wenn man jetzt hier einfach aussteigen könnte! Denn immerhin gibt es ja eine Haltestelle direkt vor der Tür, in der der Bus nun auch steht und auf das Ampelgrün warten muss. Doch ist ein Aussteigen im Fahrplan dieser Buslinie nicht vorgesehen, die Fahrgäste müssen sich bis zur nächsten Haltestelle gedulden, um dann zweihundert Meter dem holprigen Gehweg zurückzulaufen. Es scheinen wohl ein paar Schildbürger in der Regensburger Verkehrsplanung zu sitzen.
Das Museum der bayerischen Geschichte weiß nicht nur mit Architektur, sondern auch mit Ausstellungsdidaktik zu überzeugen. Besonders angenehm fällt auf, dass nicht moderne Medien, sondern die Exponate im Vordergrund stehen. Zwei Stunden würden, heißt es auf einer Infotafel, für den Rundgang reichen, sofern man sich nicht allzu lang in den Seitenkabinetten vertrödle. Aber genau das fällt natürlich schwer, sind diese doch allesamt auf ansprechende Themen fokussiert.
Einen kleinen Tribut an die audiovisuellen Medien gibt es aber doch: die Besucher dürfen im alten Gestühl des Bayerischen Landtags Platz nehmen und nach festgestellter Beschlussfähigkeit an der parlamentarischen Abstimmung über die Kruzifixverordnung teilhaben, indem sie kleine Täfelchen hochhalten: die weiße Seite nach vorne für ja, die schwarze für nein. Die Abstimmung geht unentschieden aus, was aber auch an der etwas unklaren Fragestellung gelegen haben könnte.
Entlang einer doppelten Reihe von Ikonen der bayerischen Autoindustrie führt der Rundgang nun vorbei an der letzten Station, dem aus Stoffresten zusammengenähten Heißluftballon der Familien Strelzyk und Wetzel, denen damit 1979 die Flucht aus der DDR nach Naila gelang. Wieder am Ausgangspunkt angelangt gilt es noch, durch das Panoramafenster einen Blick auf die beiden Türme des Regensburger Doms zu erhaschen. Und dann ist auch die Zeit gekommen, den Bus zurück zum Bahnhof zu nehmen. Dieses Mal mit der Linie 5, denn die hält auch vor dem Museum.