Eine Begegnung mit Rothenburg 

Die geo­graphis­che Lage „ob der Tauber” des fränkischen Kle­in­städtchens brachte es mit sich, dass sich der indus­trielle Auf­schwung des 18. und 19. Jahrhun­derts bevorzugt ander­swo abspielte und Rothen­burg sein reichsstädtis­ches Erschei­n­ungs­bild bis in das Zeital­ter des aufkeimenden Touris­mus hinein beibehielt. Heute lockt sein beson­der­er Charme Touris­ten aus aller Welt an, sie kom­men per Bus oder Bahn, spazieren durch die engen Alt­stadt­gassen, aber so manch­er ver­läßt das Städtchen, ohne auch nur ein einziges sein­er Museen besucht zu haben. Das wäre allerd­ings ein großer Fehler.

Der Ver­fass­er hat sich für die Anreise per Bahn entsch­ieden. Zwar ver­fügt Rothen­burg bere­its seit 1873 über einen Bah­nan­schluss, die wichti­gen Streck­en ver­laufen jedoch alle­samt abseits, so dass es von dort noch ein­mal umzusteigen gilt in einen Zug, der mehr schle­icht als fährt und sich für die zwölf Kilo­me­ter von Steinach herüber eine geschla­gene Vier­tel­stunde Zeit läßt. Schade, dass noch kein Eisen­bah­n­vere­in diese Strecke für sich ent­deckt hat.

Vom Bahn­hof sind es dann noch ein­mal 500 Meter bis zum Röder­tor. Hier am nach wie vor geschlosse­nen Mauer­ring möge nun also der Zauber begin­nen, der den Ver­fass­er in gut viere­in­halb Stun­den durch drei aus­ge­suchte Museen führen wird: das Rothen­burgMu­se­um im alten Kloster­hof direkt über dem lieblichen Tauber­tal, das vor allem bei Touris­ten beliebte Deutsche Wei­h­nachtsmu­se­um der Käthe Wohlfahrt KG, und zum vor­läu­fi­gen Abschluß der Runde das eben­falls unverzicht­bare Krim­i­nal­mu­se­um mit der Eis­er­nen Jungfrau und all den anderen Folterinstrumenten.

RothenburgMuseum 

Die Dominikaner­in­nen, in deren ehe­ma­ligem Kloster das Muse­um unterge­bracht ist, waren ein kon­tem­pla­tiv­er, also nach innen gerichteter Orden: man wid­mete sich dem Studi­um der Lit­er­atur, befasste sich mit Kun­sthandw­erk, mit Hauswirtschaft und mit der Kräuterkunde.

Vor­bei an einem stein­er­nen Moses mit zwei Propheten sowie weit­eren mehr oder weniger gut erhal­te­nen Stein­skulp­turen führt der Rundgang zunächst hin­auf in das obere Stock­w­erk, wo bemalte Glas­flaschen, kun­stvoll-kon­stru­ierte Schlöss­er samt Schlüs­seln und anderes Kun­sthandw­erk die Overtüre bilden zu einem Saal, der seines­gle­ichen sucht: die Degen, Lanzen, Gewehre und Rüs­tun­gen der Samm­lung Bau­mann buhlen hier zu Hun­derten um die spezielle Aufmerk­samkeit der Besuch­er, denn jede Waffe hat etwas Beson­deres, etwas das sie einzi­gar­tig macht. Natür­lich, denn son­st stünde sie ja nicht hier, denn wer will schon hun­dert gle­ichar­tige Stücke abschre­it­en? Das­selbe gilt für die Fayencekrüge in den fol­gen­den Räu­men: auf den ersten Blick wäh­nt man sich zwar in einem Schaude­pot, die nähere Betra­ch­tung enthüllt dann aber doch so manch­es unter­halt­same Detail.

Eher beschei­den präsen­tiert ist hinge­gen der berühmte Gold­münzen­fund: 82 Stück sollen es sein, sie messen zwis­chen 21 und 29 Mil­lime­ter im Durchmess­er und sind nach heuti­gen Münz-Maßstäben sehr dünn. Das Datum 1672 der jüng­sten Münze und die Tat­sache, dass sich der Fund nur wenige Zen­time­ter unter dem Stampf­bo­den des Haus­es befand, leg­en ein Ver­steck­en vor plün­dern­den franzö­sis­chen Trup­pen nahe.

Ein paar Schritte weit­er beein­druckt der Laden­schrank eines Spez­erei­waren­händlers, wie man sein­erzeit Gewür­zlä­den oder auch Apotheken nan­nte. Zwei Teller in der Vit­rine gegenüber zeigen die erste deutsche Eisen­bahn, etwas ver­steckt kann ein alter Kau­fladen bewun­dert wer­den, der eigentlich größer war, aber der Raum reichte nur für einen Teil des Inven­tars. Und auch die Ein­rich­tung der alten Geor­gen-Apotheke nebe­nan erscheint dem Ver­fass­er etwas eingezwängt. Aber so ist es halt, wenn die räum­liche Sit­u­a­tion dem Platzbe­darf Gren­zen set­zt. Die bei­den Globen, ein Erd- und ein Him­mels­globus aus dem frühen 18. Jahrhun­dert, ste­hen jeden­falls ver­gle­ich­sweise frei, und das Him­mel­bett wirkt im Raum mit der gewölbten Holzdecke ger­adezu verloren.

Der Rundgang endet in der Son­der­ausstel­lung „Pit­toresk – Maler ent­deck­en den Charme der alten Reichsstadt”. Nicht nur Maler, möchte man da hinzufügen.

Weihnachtsmuseum 

Ach, wenn doch das ganze Jahr Wei­h­nacht­en wäre! Dieser Wun­sch glück­lich beschenk­ter Kinder kön­nte in Rothen­burg in Erfül­lung gehen, denn hier gibt es ein Kaufhaus, das rund ums Jahr Wei­h­nacht­sar­tikel an all jene Touris­ten verkauft, die sich zuhause ein paar Sou­venirs aus Good Old Ger­many an den Baum hän­gen wollen.

Der aus Nürn­berg anreisende Ver­fass­er hat zur Adventszeit den berühmten Christkindles­markt vor der Tür und wen­det sich also dem für ihn inter­es­san­teren Teil zu, näm­lich dem „Deutschen Wei­h­nachtsmu­se­um”. Dort geht es um die Geschichte von Wei­h­nacht­en und die mit dem Fest ver­bun­de­nen Tra­di­tio­nen. Vor­bei an je nach Epoche und Kul­turkreis ganz unter­schiedlich geschmück­ten Bäu­men, am Dio­ra­ma mit der wei­h­nachtlichen Szener­ie in gehobe­nen Kreisen, am Schaufen­ster mit dem einzel­han­dels­gerecht ver­pack­ten Christ­baum­schmuck aus der „Glasstadt” Lauscha begeg­nen ihm ent­lang des Rundweges auch noch Wei­h­nachts­mann, Pelzmär­tel und Kram­pus, er bestaunt diverse Baum­spitzen und ‑stän­der, Räucher­män­ner, Schwib­bö­gen und Wei­h­nacht­spyra­mi­den – alle Details aufzuzählen fiele schw­er, denn die Muse­ums­gestal­ter scheinen wirk­lich an alles gedacht zu haben, bis hin zum Adventskalen­der und der elek­trischen Baumk­erze samt Wer­be­botschaft des Herstellers.

Und für die passende musikalis­che Unter­malung sorgt der Winds­bach­er Knabenchor.

Mittelalterliches Kriminalmuseum 

Das Muse­um mit den berühmten Folterin­stru­menten ist rasch gefun­den, ist doch der Schriftzug am Gebäude nur schw­er­lich zu überse­hen. Und der Ein­gang befind­et sich rechts. Nein, doch links, unter dem Tor­bo­gen. Trep­pen­stufen führen hinab in den Keller, denn Folterkam­mern sind immer unten. Schon das erste Exponat, ein Stachel­stuhl, macht erschaud­ern: der Ses­sel eines Fakirs?

Nach heuti­gen Maßstäben ist Folter das sadis­tis­che Quälen eines Men­schen, im recht­shis­torischen Ver­ständ­nis des späten Mit­te­lal­ters und der frühen Neuzeit war es ein rechtlich geregel­ter und pro­tokol­liert­er Schritt, um nach dem Tat­be­weis das für die Verurteilung notwendi­ge Geständ­nis zu erbringen.

Das Ver­fahren im Inqui­si­tion­sprozess bestand dabei aus zwei Stufen. Zuerst ging es um den Beweis für die Tat­bege­hung, dann um den Beweis der Täter­schaft, der vor allem durch ein Geständ­nis als erbracht galt. Bei Leug­nung durfte die Folter angewen­det wer­den. Das Gericht entsch­ied später allein nach Aktenein­sicht, Urteil und Geständ­nis wur­den öffentlich ver­lesen und die Strafe im Anschluß daran eben­so öffentlich vollstreckt.

In ein­er Vit­rine des Folterkellers liegt das Pro­tokoll der Folterung der Catha­ri­na Ranze­bach aus. Sie war der Hex­erei verdächtig, eines Verge­hens, das nicht beweis­bar war, so dass gle­ich zur Peini­gung überge­gan­gen wurde: ein Ver­fahren, das natür­lich auch Falschgeständ­nisse her­vor­brachte. Dies führte in der Über­gangszeit zur Mod­erne schließlich auch zur Abkehr von diesem Verfahren.

Dem schauer­lichen Ein­stieg in das Rechtswe­sen jen­er Zeit fol­gt nun ein Auf­stieg, und zwar in die oberen Stock­w­erke des Muse­ums, wo den Besuch­ern als weit­eres Schaustück die Eis­erne Jungfrau, der Inbe­griff eines fin­steren Mit­te­lal­ters, ins Auge springt: der met­allbeschla­gene Holz­man­tel mit den an der Innen­seite ange­bracht­en Eisen­spitzen kön­nte allerd­ings eine Erfind­ung des 19. Jahrhun­derts sein, da für die Anwen­dung keine his­torischen Belege vorliegen.

Die Ausstel­lung in den über­raschend weitläu­fi­gen oberen Eta­gen visu­al­isiert den Vol­lzug von Ehren­strafen von der Gerichtsver­hand­lung über die Gefan­gen­schaft und die Pein­liche Befra­gung bis hin zu Hals­geige, Trinker­tonne und Dreh­pranger und lis­tet einige Auf­se­hen erre­gende Krim­i­nalfälle der Rechts­geschichte: Jesus von Nazareth, Jeanne d’Arc, Maria Stu­art, Klaus Stör­te­bek­er, Galileo Galilei.

Ein spezielles Schaustück ist auch der Armesün­der­löf­fel zur Verabre­ichung der Henkers­mahlzeit. Und wer fände nicht Gefall­en daran, im Mod­ell eines Klassen­z­im­mers die typ­is­chen Schul­strafen früher­er Zeit­en zu iden­ti­fizieren: Schläge auf Fin­ger und Hosen­bo­den, in die Ecke stellen und vieles mehr.

Als wolle man einen ver­söhn­lichen Gegen­pol zu all den gezeigten Grausamkeit­en bieten, bietet das Muse­um im let­zten Gebäude­teil, der Johan­niter­sche­une, eine Son­der­ausstel­lung mit reizvollen Architek­tur- und Land­schafts­bildern aus Impres­sion­is­mus, Jugend­stil und Klas­sis­ch­er Mod­erne an.

Deren Titel „Eine Begeg­nung mit Rothen­burg” eignet sich auch per­fekt, um das gesamte heutige Besuch­ser­leb­nis grif­fig zu umschreiben.

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Anfahrt und Adressen 

Rothen­burgMu­se­um, Kloster­hof 5, 91541 Rothenburg
Deutsches Wei­h­nachtsmu­se­um, Her­rn­gasse 1, 91541 Rothenburg
Mit­te­lal­ter­lich­es Krim­i­nal­mu­se­um, Burggasse 3–5, 91541 Rothenburg
Besuch­stag: 3. Juli 2022
Autor: Rain­er Göttlinger