Die Herren der Ringe 

Eine Zeitreise ver­sprechen ja viele Museen, aber nir­gend­wo find­et man diese Meta­pher so schick umge­set­zt wie in Ingol­stadt: wer im Audi muse­um mobile in den Lift steigt und auf den ober­sten Knopf drückt, kann auf dem Dis­play beobacht­en, wie die Jahreszahlen vorüber huschen. Wo wird die Mas­chine zum Ste­hen kom­men? Es ist, so viel sei ver­rat­en, das Jahr 1899. Denn in diesem Jahr grün­dete ein gewiss­er August Horch in einem Pfer­destall in Köln-Ehren­feld das Unternehmen Horch & Cie.

August Horch

Den Motoren­bau hat­te der 32-jährige von der Pieke auf gel­ernt, sich dann aber mit seinem Chef Carl Benz verkracht, der für seine Ideen nicht zu gewin­nen war. Horchs Auto­mo­bil – es ste­ht direkt bei der Zeitschleuse – war mit einem ste­hen­den Zweizylin­der-Motor aus­gerüstet, der seine 10 bis 12 PS nicht wie damals üblich über eine Kette, son­dern via Kar­dan­welle auf die Hin­ter­achse übertrug. Und auch die Karosserieform war ungewöhn­lich: die Pas­sagiere bestiegen den Fond des Wagens von hinten.

Nur 10 Jahre nach diesen Anfän­gen verkrachte sich der Erfind­er erneut, dies­mal mit dem Auf­sicht­srat der inzwis­chen nach Reichen­bach im Vogt­land über­siedel­ten Horch AG. Er schied aus dem Unternehmen aus und grün­dete ganz in der Nähe ein neues, das nun allerd­ings nicht mehr seinen Namen tra­gen durfte. Dem Rat eines stu­den­tis­chen Mitar­beit­ers fol­gend nan­nte er die neue Fir­ma Audi, denn „das heißt doch auch Horch”, wie der Grün­der das Geschehen in ein­er Fil­maufze­ich­nung leb­haft schildert.

Die Fir­ma Audi stellte Fahrzeuge für einen erlese­nen Kreis her, wie das Schnittmod­ell eines Audi 18 Typ M Pull­mann von 1925 zeigt. Von den 228 aufwändig in Einzelfer­ti­gung pro­duzierten Sech­szylin­der-Lim­ou­si­nen existieren heute nur noch drei, plus ein Fahrgestell. Der Chauf­feur mußte ein Kön­ner sein, wie diverse Hebel am Lenkrad zeigen.

Die Autos der Zwis­chenkriegszeit beein­druck­en heute jedoch mehr durch ihre Länge ihrer Motorhauben als durch die Leis­tung der darunter werkel­nden Pfer­destärken: ger­ade ein­mal 70 PS ver­halfen dem teuer­sten deutschen Auto sein­er Zeit zu ein­er atem­ber­auben­den Höch­st­geschwindigkeit von 120 km/h. Aber es gab ja noch keine Auto­bah­nen, und auch den Zus­tand der Land­straßen mag man sich kaum vorstellen.

Den Gold­e­nen 20ern fol­gten schwierige Zeit­en. Um die Wirtschaft­skrise zu über­ste­hen, schlossen sich die vier säch­sis­chen Auto­mo­bil­her­steller Horch, Audi, Wan­der­er und DKW zur Auto Union zusam­men. Dies war zugle­ich die Geburtsstunde der vier ver­schlun­genen Ringe.

Wenig später begann mit dem Wieder­erstarken Deutsch­lands auch die Motorisierung enorm an Bre­ite zu gewin­nen. Doch die Katas­tro­phe fol­gte, wie wir heute alle wis­sen, bei Fuß. Wie gut, dass uns der Zeitlift dabei hil­ft, die Zäsur schnell hin­ter uns zu lassen und im Jahr 1949 auszusteigen: es gibt nun gle­ich zwei deutsche Staat­en, und die alten Pro­duk­tion­sstät­ten liegen größ­ten­teils im Osten.

Die Meis­terk­lasse

In Ingol­stadt tauchte in jenen Tagen ein stark mitgenommen­er Pro­to­typ jenes DKW F9 auf, der 1937 dafür vorge­se­hen war, alle anderen Mod­elle abzulösen und als Ein­heit­stype in großen Stück­zahlen gebaut zu wer­den. Das Fahrzeug wurde, mit immensem Aufwand fahrbere­it gemacht, zum Vor­bild der DKW Meis­terk­lasse, die in gle­ich mehreren Bau­for­men hier im Muse­um vertreten ist.

Da ist zum einen der orangerote Auto Union 1000, auf dessen Dachgepäck­träger sich die Kof­fer für die Reise ins Sehn­sucht­s­land Ital­ien stapeln. Gle­ich daneben ste­ht jene Kom­bi­aus­führung, die wegen ihres Holza­uf­baus despek­tier­lich Fach­w­erkau­to genan­nt wurde. Und weit­er drüben hat sich, mit völ­lig ander­er Karosserie, ein­er der sel­te­nen DKW Schnel­laster einge­fun­den. Allen diesen Mod­ellen ist gemein­sam, dass unter der Motorhaube ein Zweitak­ter werkelt.

Wie aus DKW Audi wurde

Aber war so ein knat­tern­der Zweitak­t­mo­tor denn noch zeit­gemäß? In Ingol­stadt hat­te von 1958 an Daim­ler-Benz das Sagen und wollte eine Lim­ou­sine für Kun­den, denen ein Mer­cedes zu groß und zu teuer war. Frontantrieb sollte sie haben, eine tiefe Gürtellinie und bre­ite Küh­ler- und Heck­par­tien. Über die Motorisierung jedoch bestand Uneinigkeit: Ingol­stadt wollte Kon­ti­nu­ität, Daim­ler-Benz den Vier­takt-DKW. Die Kund­schaft entsch­ied und ließ nach dem stren­gen Win­ter 1962/1963 die von Käl­teschä­den heimge­sucht­en Mod­elle ste­hen. Die mod­ern motorisierten Nach­fol­ger läuteten eine neue Ära ein: DKW war Geschichte, der Tra­di­tion­sname Audi sollte es for­t­an sein.

Im Muse­um ste­hen sie etwas abseits, der vom Liebe­sentzug heimge­suchte let­zte Zweitak­ter von 1964 und sein weitaus erfol­gre­icher­er, weil nun­mehr vier­tak­ten­der Brud­er, der Audi 72 von 1965.

Der Audi 100

So richtig stolz war man in Ingol­stadt aber erst wieder, als 1968 mit dem Audi 100 das erste voll­ständig bei Audi entwick­elte Fahrzeug auf den Markt kam.

Die Auto Union war zwis­chen­zeitlich an den Wolfs­burg­er Volk­swa­gen-Konz­ern überge­gan­gen, für den das Werk for­t­an nur noch VW Käfer pro­duzieren sollte. Heim­lich ver­fol­gten die Ingol­städter jedoch ihre eigene Lin­ie weit­er – und hat­ten damit Erfolg: der Audi 100 sicherte die Selb­st­ständigkeit der VW-Tochter und war der Anfang ein­er eigen­ständi­gen Audi Mod­ell­fam­i­lie, die bis 1974 mit dem Audi 80 und Audi 50 kom­plet­tiert wurde. Auch gehörte ab 1969 die inno­v­a­tive Marke NSU mit ihrem leg­endären wankel­getriebe­nen Ro 80 zum Unternehmen, das nun­mehr als „Audi NSU Auto Union AG” firmierte.

Der damals 10-jährige Ver­fass­er erin­nert sich noch genau an die Begeis­terung seines Vaters für den Audi 100 – eine pla­tonis­che Autoliebe, denn die väter­liche Garage war schon ander­weit­ig beset­zt. Und auch der Ver­fass­er selb­st liebäugelte ein paar Jahre später heftig mit einem Wagen aus Ingol­stadt, doch gab der Aus­bil­dungslohn solche Träume nicht her. Im Muse­um mobile ste­hen sie bei­de, des Vaters Traum in cre­meweiß und der Audi 50 in froschgrün – und neben oder hin­ter ihnen alles mit vier Rin­gen, was in den kom­menden Jahrzehn­ten das Straßen­bild prägte, bis hin zum schi­er unver­wüstlichen A3, der den Ver­fass­er durch etliche Jahre seines Lebens begleitete.

Zweiräder und Sportwagen

Man kön­nte sich in diesem faszinieren­den Muse­um noch eine ganze Weile mit den Zweirädern beschäfti­gen oder mit den Sil­berpfeilen in der Motor­sport-Ecke, ergänzt um die Sportaus­führun­gen zahlre­ich­er Serien­mod­elle, wie sie im Pater­nos­ter durch die Eta­gen gehoben wer­den. Man kön­nte sich auch in das eine oder andere Funk­tion­s­mod­ell ver­tiefen und zum Beispiel ver­suchen, die Abläufe im Inneren des inno­v­a­tiv­en Audi-Fün­fzylin­ders nachzuvollziehen.

Oder aber man nimmt sich vor, noch ein­mal wiederzukom­men, denn auf der unteren Ebene des markan­ten Zylin­der­baus warten ja auch noch wech­sel­nde Son­der­ausstel­lun­gen. Die aktuelle heißt „Der fün­fte Ring” und schildert die Geschichte der sehr inno­v­a­tiv­en Marke NSU. Schaustück ist hier natür­lich der von einem Rota­tion­skol­ben­mo­tor angetriebene Ro 80, aber auch der zweisitzige Sport­wa­gen NSU Spi­der war einem solchen bestückt.

Im Wegge­hen fällt dem Ver­fass­er noch ein, dass die Zeitleiste im Zeit­maschi­nen­lift das Jahr 2034 angezeigt hat­te, mit Fort­set­zun­gen nach oben wie nach unten. Wäre also ein Blick auch auf die auto­mo­bile Zukun­ft möglich gewe­sen? Nun, den Zukun­fts-Audi gibt es tat­säch­lich, er ste­ht jedoch samt Flug­tax­i­mod­ul nicht hier, son­dern im Nürn­berg­er Zukunftsmuseum.

Man darf hier wie dort ges­pan­nt sein, welche Inno­va­tio­nen die Autoschmiede mit den vier Rin­gen in den kom­menden Jahren noch her­vor­brin­gen und im firmeneige­nen Muse­um doku­men­tieren wird.

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Kontakt und Anfahrt 

muse­um mobile

Ettinger Straße, 85045 Ingolstadt
0800–2834-444, welcome@audi.de
Mo-Fr 9–17 Uhr, Sa-So+Ft 10–16 Uhr
www.audi.de
Besuch­stag: 24. Juli 2022
Rain­er Göttlinger